22.I.1916 „Lieber Papa!“

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Wolfgang Husserl an E. Husserl, 22. I. 1916

Lieber Papa!                            22. 1. 1916. Schanze IV

Als Gast der 1. Kompanie sitze ich hier gemütlich mit den Herren zusammen. Eben las Herr von Gilsa aus der „Ostdeutschen Warte“ Deine Berufung vor, worauf wir einen kräftigen Schluck auf Dein spezielles Wohl tranken und Dir jetzt herzlichste Grüße senden.

Wolfgang

21.I.1916 „Wird Papa badischer Staatsbürger? Werde ich badischer Staatsbürger?“

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Wolfgang Husserl an M. Husserl, 21. I. 1916

Liebe Mama!                                              Etain, 21. 1. 1916. Abends

… Die Berufung Papas erscheint mir darnach in immer günstigerem Lichte. Nach den näheren Umständen, von denen Du schreibst, wird mir die Übersiedlung unseres Heimes leicht werden, da ich glaube, dass mit dieser ein sehr glücklicher neuer Abschnitt in unserem Familienleben anfängt. Wird Papa badischer Staatsbürger? Werde ich badischer Staatsbürger? Wollt Ihr unser Haus verkaufen oder vermieten? Urlaub will ich nicht einreichen. Ich habe keine Lust, dass Gündell mir die Hälfte von dem, was ich einreiche, abstreicht. 10 Tage bekäme ich sicher. Mehr ist bei diesem Korps nicht zu erhoffen.

Da Ihr berechtigterweise Kontrolle über meine Geldangelegenheiten ausüben wollt, will ich erklären, warum ich nur 100 Mark heimgeschickt habe. Ich hatte im vorigen Monat 300 nach Hause geschickt und nur 50 zurückbehalten. Dies reichte nicht. So hatte ich am 1. Januar noch Schulden zu bezahlen. Ich gebe mehr Geld aus, als mir lieb ist, aber einmal kostet die Menage bei der 15. so viel und dann habe ich recht bedeutende andere Auslagen … (es folgt lange Abrechnung <in der Abschrift der Briefe durch Elisabeth Husserl weggelassen>).

19.I.1916 „Schade, dass die Herrlichkeit nur 10 Tage dauert“

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Wolfgang Husserl an M. und E. Husserl, 19. I. 1916

Liebe Eltern!                                                                             Etain, den 19. 1. 1916

… Augenblicklich vertrete ich den Bataillonsbaumeister Leutnant Wendelstadt, der auf Urlaub gefahren ist. Der Bau von betonierten Unterständen und einigen anderen Arbeiten werden nicht von den Kompanien selbst ausgeführt, sondern von diesen entnommenen dauernden Arbeitstrupps, 10-15 Mann stark, also jetzt unter meiner Leitung. Über 100 Mann unterstehen mir. Die Aufsicht und Leitung ist da natürlich bedeutend schwieriger als im Zuge, da man mehr Leute und Arbeitsstellen, die sehr verstreut liegen, unter sich hat. Die Arbeit ist etwa folgendermaßen eingeteilt: Ein Trupp arbeitet in Etain auf dem Zimmerplatz und macht die Holzarbeiten (Gerüste und Deckbalken der Unterstände, außerdem für die Kompanien Tischlerarbeiten, Wegweisertafeln u. ä.). Dann haben wir eine eigene Schmiede in Betrieb, die Reparaturen an den Loren, Scharniere für Türen und vieles andere macht. Ein eigener Trupp befördert auf den Feldbahngleisen in Loren Material, Sand, Schotter und Zement, rauf. Ein Trupp baut die Strecke weiter aus und bessert sie aus – die wichtigste Arbeit, da vom Zustand der Strecke das bequeme Gehen der Pferde abhängt, die sehr geschont werden müssen. Endlich noch Schachttrupps, die die Baugruben der Unterstände ausheben und eigentliche Betonierungstrupps. Ihr seht also, dass das ein großer Betrieb ist und man muss sehr hinterher sein, wenn alles klappen soll. Ich muss mich natürlich erst einarbeiten. So eine Tätigkeit sagt mir natürlich sehr zu. Neulich war ich Logierbesuch für eine Nacht der 1. Kompanie auf Schanze IV, was sehr nett war. Sonst nichts Neues. Bitte mir mein Rasierzeug zu schicken!

W.

14.I.1916 „Gestern erhielt ich die Nachricht, dass Papa den Ruf nach Freiburg angenommen hat“

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Wolfgang Husserl an Elli Husserl, 14. I. 1916

Liebe Elli!                                 Etain, den 14.1.1916

Gestern erhielt ich aus Karlsruhe die Nachricht, dass Papa den Ruf nach Freiburg angenommen hat. Die Gefühle, die ich habe, sind gemischt. Zunächst freue ich mich sehr, dass Papa eine Anerkennung seiner Arbeit auch in dieser Form zuteil wurde. Aber bedauerst Du nicht auch, dass wir unser schönes Haus, unsere zahlreichen Bekannten und Freunde, kurzum unsere Heimat verlassen müssen? Es tut mir leid, dass ich, wenn ich diesen Krieg glücklich überstehe, nicht nach Göttingen, sondern nach dem fremden Freiburg zurückkehren soll. Na, die Freude des Wiedersehens wird aber, denke ich, solche Gedanken gar nicht aufkommen lassen. Was wird nun aus Dir werden? Wirst Du in Göttingen Deine Verwundeten weiter pflegen? Du weißt nicht, wie stolz ich auf Dich bin. So schön, dass wir drei uniformiert sind. Ich glaube, Du hast es viel schwerer als wir hier draußen im friedlichen Stellungkrieg. Ich sitze hier in einem ebenso schönen Zimmer wie zu Hause, schlafe in einem richtigen Bett, habe elektrisches Licht, mehr Bedienung, sehr gutes Essen und leider Gottes in der letzten Zeit sehr wenig zu tun. Man muss sich schämen, wenn man bedenkt, wie gut man es hat. Ich verbrachte die meiste Zeit in fröhlicher Gesellschaft, abends saßen wir oft bis Mitternacht bei alkoholischen Getränken (meist tranken wir Sekt und Rotwein). Wenn wir auch oft in heiterster Stimmung waren, haben wir doch immer vernünftige Gespräche geführt und uns ernst unterhalten, wobei ich viel lernte. Leider, leider ist heute die 1. Kompanie abgelöst und die 15. kommt wieder runter. Oberleutnant Alt hat 10 Tage Urlaub. Das Korps ist furchtbar schäbig mit Urlaub und streicht einem immer noch ein paar Tage ab von dem, was man eingereicht. Herr von Gündell ist in der Beziehung einfach scheußlich.

Eine herrliche, gemütliche Zeit liegt jetzt hinter mir und gute Freunde habe ich mir auch erworben. Nichts ist schöner, als wenn man mal prächtige Menschen findet.

Ich lese viel in meiner freien Zeit. Lateinische Klassiker (Tacitus „Germania“) und Mörike.

Das Wetter ist sehr schlecht, so dass die Orne wieder über ihre Ufer getreten ist. Die Schanzen sind jetzt aber einigermaßen entwässert, so dass die Gräben meist passierbar sind. Die Artillerietätigkeit ist in den letzten Wochen lebhafter geworden. Unsere Mörser (21 cm) und Haubitzen (15 cm) haben reichlich Munition bekommen und halten den Franzmann ziemlich nieder, der zwar jetzt auch mehr schießt – der Riegel und Etain kriegen fast täglich Salut mit 12 cm und Etain mit Schrapnells –, aber dann sofort schwere Dinger auf seine Schanzen und Dörfer bekommen <hat>. Das Regiment hat in den letzten 14 Tagen auch 3 Tote gehabt. Sonst nichts Neues. Wir warten alle auf unsere Frühjahrsoffensive. Wenn Du Geld brauchst, schreibe es mir bitte.

W.

10.I.1916 „Wir feiern gerade die Vertreibung der Engländer von Gallipoli“

Grabrede Atatürks anlässlich des Gedenktages der Toten der Schlacht von Gallipoli

 

Wolfgang Husserl an M. und E. Husserl, 10. I. 1916

Liebe Eltern!                        E<tain>, 10. 1. <19>16

Eben erhalte ich die hocherfreuliche Nachricht von Papas Ruf nach Freiburg. Ich beglückwünsche Euch herzlichst zu diesem frohen Ereignis. Hoffentlich wird sich alles Weitere gut abwickeln!

Mir geht es gut. Da Hauptmann Mattersdorf für 4 Tage beurlaubt ist, führt Herr Hauptmann Henkel das Bataillon, was natürlich für mich sehr nett ist. Ich war heute Nachmittag schon mit ihm in der Stellung. Wir feiern gerade die Vertreibung der Engländer von Gallipoli. Deine Schreiben vom 6. und 7. des Monats freuten mich sehr. Vielen Dank!

Herzlichst,

W.