8.II.1915 „(2 Tote). Sonst nichts Neues“

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Wolfgang Husserl an M. und E. Husserl, 8. II. 1915

Liebe Eltern!                                                                                 Im Schützengraben, 8.2.15

Gestern sind wir bei Regen in den Schützengraben gekommen. Heute war teilweise schönes Wetter, aber kalter Wind. Unsere Artillerie schoss wieder in unseren Graben (2 Tote). Sonst nichts Neues. Uns beiden geht es gut. Ich bin jetzt in G<erharts> Korporalschaft.

Wolfgang

7.II.1915 „Im Graben wird jetzt fieberhaft von Pionieren gearbeitet“

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Wolfgang Husserl an M. Husserl, 7. II. 1915

Liebste Mama!

Hoffe sehr, dass es Dir, wenn ich dies im Schützengraben schreibe, wieder besser geht. Leider habe ich mit Schreiben damals etwas gebummelt. Im Graben wird jetzt fieberhaft von Pionieren gearbeitet, die hintere Böschung mit Hürden wiederhergestellt und einiges andere gemacht, wovon ich nicht sprechen darf. Es lagen uns zuerst Engländer gegenüber, die uns durch Schießen und außerordentlich scharfe Beobachtung stark belästigten. So schossen sie planmäßig in unsere Schießscharten und haben so der 12. Kompanie drei Mann Verluste zugefügt. Die Engländer lösen sich, wie es scheint, regelmäßig mit den Franzosen ab. Jetzt liegen uns wieder die letzteren gegenüber, da kann man ruhig sein.

Schicke bitte radikale Mittel gegen Kleiderläuse, die die halbe Kompanie hat.

G. geht es ebenso gut wie mir.

W.

5.II.1915 „Morgens schrubbte man sich den Wanst in warmem Wasser“

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Wolfgang Husserl an M. Husserl, 5. II. 1915

Nach 4 Tagen, die wohl zu den ruhigsten und erholsamsten des ganzen Feldzuges zählen, geht es heute Abend in den Schützengraben, wo wir 4 weitere Tage bleiben werden bis zu den Ruhetagen, vor denen uns schon graut. G. und ich, Bete und Feisel – wir bilden einen Haushalt. Feisel kochte, wir anderen machten Stubendienst, abends las man Zeitung bei einer Schale Grog oder Tee. Morgens schrubbte man sich den Wanst in warmem Wasser, wie Feisel sich ausdrückt.

Wolfgang.

Einmal mussten wir Balken und Hürden in den Graben schleppen bei Mondschein und Gewehrfeuer.

2.-4.II.1915 „Salzkartoffeln mit gebratenem Rosenkohl und gebratener Wurst“

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Wolfgang und Gerhart Husserl an M. Husserl, 2.-4. II. 1915

Liebste Mama!

Poelkapelle (d.i. Pfuhlsumpf), Kirche 2.2.15.

Habe gestern 2 Briefe mit Strümpfen und einen mit Briefschaften abgeschickt; die Hemden und Unterhosen musste ich leider zurücklassen, ich hatte sie leider schon verpackt, weil nur 250 g angenommen werden. Gestern Abend kamen wir an und bleiben 4 Tage, haben tadellos gemütliches Quartier neben der Beenhouvery. Ich wohne selbdritt in einer urgemütlichen Küche (der einzige Raum vom Haus, der heil geblieben) und schlafe in einem winzigen Keller, der nicht übertrieben ¾ m hoch ist. Luft hat man aber genug. Man streckt seine Glieder auf weichem Stroh. Hier ist es tausendmal schöner als in dem beschissenen Ostneukirchen. Hier ist man ungeniert und hat alles zur Hand. Holz (was in O. sehr rar war), Tassen, die runden ohne Henkel, Teller, Töpfe usw., und was man nicht hat, verpasst man sich. Ich fühle mich hier, wo ich jedes Haus und die Umgebung in- und auswendig kenne, ganz heimatlich. Uns beiden geht es denn auch vorzüglich.

W.

Der dritte ist Bete, du kennst ihn aus Arnstadt. Er will Oberlehrer werden, hat eine Brille, war von Anfang mit uns zusammen, ein ganz vorzüglicher Mensch.

Hochverehrter Herr Professor!                                                                             Poelkapelle, 4.2.15

Da ich heute bei Ihren Söhnen zu Gast bin und bei ihnen richtig zu Mittag gegessen habe – aber unter Kanonendonner –, möchte ich nicht versäumen, Sie und Ihre Frau Gemahlin aus dem Felde zu begrüßen. Ihre beiden Söhne kommen nicht um, sie haben zu essen und zu trinken.

Ihr ergebenster Niese.

Wir leben hier famos in häuslicher Ruhe, schlafen und essen und sitzen um unsern runden Tisch in unsrer flämischen Küche.

Gerhart.

Freundlichen Gruß H. Bete.

Das Menu des Mittagsmahles, das Feisel gekocht, zu dem Bete und ich das Zeug herbeigeschleift, G<erhart> das Holz gehackt hatte, war: Salzkartoffeln mit gebratenem Rosenkohl und gebratener Wurst. Zum Nachtisch Kaffee, Erdbeergelée und von Niese eine gute Zigarre und Besuch von Gustav Werner. Gleich werde ich das Geschirr aufwaschen.

W.

1.II.1915 „Was uns fehlt, ist die Aussicht, dass dieser Krieg irgendwie und -wann endigen wird“

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Wolfgang Husserl an M. Husserl, 1. II. 1915

Liebste, beste Mama!                                                                                         Ostneukirchen, 1.2.15

Es hat uns außerordentlich leidgetan, dass Du krank warst und wohl auch jetzt noch etwas herunter bist. Du machst Dir gewiss Sorgen um uns, was gänzlich unnötig ist, wo es uns ja den Umständen nach gut geht und wir mit allem gut versehen sind. Das Einzige, was uns fehlt, ist die Aussicht, dass dieser Krieg irgendwie und -wann endigen wird. In diesem Brief kann ich Dir nicht viel erzählen, da nichts los gewesen ist, ich will nur alle Anfragen in Deinen Briefen vom 15.-26. beantworten, was ich bei der großen Bummelei, der ich bei den hier herrschenden unerquicklichen Zuständen verfallen war, versäumt hatte. … Mit Dr. Niese sind wir seit Monaten wenig zusammen, weil er eine Korporalschaft führt und im 3. Zug war. Jetzt ist er wieder im 1. … Kopfschützer tragen wir immer, wenn es kalt ist, zumal auf Posten vermumme ich mich noch mit drei Schals und meiner wollenen Decke, dass Du mich gar nicht erkennen könntest. So kalt ist es nicht, dass man sich was erfrieren kann, höchstens die Füße, da gibt es aber auch kein Abwehr- noch Heilmittel. Ich laufe auch mit zwei erfrorenen Zehen herum, das ist mir aber ganz egal und geniert mich nicht viel. … Theibach führt den 2. Zug. Er ist Feldwebel, das 1. Bataillon führt Major Bratsch, auf den wir nicht gut zu sprechen sind, das 2. <Bataillon> Hauptmann Hattendorf, Ritter des Eisernen Kreuzes 1. Klasse. Den Kröner müsst Ihr erst anfahren, dass Euch nicht gleich besucht hat und dann mit Freundlichkeiten überhäufen. Er war einer unsrer aller, allernächsten Kameraden und kann Euch über alles Auskunft geben. Ich habe niemals von Oberstabsärzten, das sind Leute, die hinter der Front sich befinden, sondern von Stabsärzten gesprochen. Wenn der Stabsarzt einen mit einem schweren Herzleiden rausschmeißt, kommt er dem Oberstabsarzt überhaupt nicht unter die Augen. Unserer hat übrigens auch Anfälle von Mitleid. Beim Impfen – wir sind alle 2 Mal gegen Typhus geimpft, sagte er zu Hippel: „Sie sehen beschissen aus, kommen Sie morgen aufs Revier“, wo er dann Herzbeschleunigung feststellte und ihm 2 Tage völlige Schonung gab. Ich habe gestern mit Passow und Hippel einen gemütlichen Sonntag verlebt. Denkt ja nicht, dass alles, was in Feindesland ist, im Felde steht. Nur wer in vorderster Gefechtsfront steht, kennt den Krieg, wer hinter der Front ist, hat es besser als zu Hause. Was haben hier die Pferdeburschen für herrliche Quartiere: Fensterscheiben mit Gardinen, Wohnstuben mit allem Hausrat, nichts zu tun, viel Geld und wenn sie dann nach Hause kommen, heißt es, sie waren im Felde gewesen. Ein sehr gutes, um nicht zu sagen bequemes Leben führen die Offiziere in und hinter der Front, nur der gemeine Mann, der alles Widerwärtige tun und aushalten muss, hat es schlecht, obgleich die hohen Herren Offiziere sicher sich bemühen, gut für uns zu sorgen. Die Herren bilden sich gewiss ein, dass die Ruhetage für uns sehr genussreich waren, haben von den wirklichen Verhältnissen natürlich keine Ahnung. Über manche Zustände herrscht große Erbitterung.

Deine Ratschläge über Alkohol sind gut gemeint. Du weißt aber nicht, wie das hier zugeht. Es gibt leider immer welche, die mal besoffen sind, an denen hat man immer ein warnendes Beispiel. – Wenn wir Oskar verloren, haben wir noch Gustav (Werner), ein ganz famoser Mensch, 38 Jahre alt und hat so und so viel Kinder, ein freier, stolzer, deutscher Landwirt und guter Kamerad.

Wolfgang

Über Beförderung schreibe ich nicht, sonst sagt Ihr ich schimpfe. Heute Abend geht es in den Graben.