10.XII.1915 „Also Lektüre!“

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Wolfgang Husserl an M. Husserl, 10. XII. 1915

Liebe Mama!                                                     Etain, den 10. Dezember 1915

Eben habe ich Deinen Brief vom 5. d. M. und die Photographien erhalten. Vielen Dank! Ferner brachte mir die Post ein großes Paket. …

Gestern wurden wir abgelöst, kamen aber nicht dem regelmäßigen Turnus entsprechend nach Schanze IV, sondern nach Etain, worüber wir nicht böse sind, raus aus Wasser und Schlamm! Trotzdem es unaufhörlich weiterregnete, hatten sich die Verhältnisse auf Schanze V nicht wesentlich verschlechtert. Allmählich sieht man, wo der Hund begraben liegt. Wir legten einen neuen Wassergraben an, in den, wenn er fertig sein wird, Rohre kommen, also regelrechte Kanalisation. Ein Regimentsbefehl nach dem anderen kommt. Der Oberstleutnant war auch einige Male bei uns. Der Oberstleutnant Alt ist ein aktiver Offizier, der natürlich von seinen Vorgesetzten abhängiger ist als wir Reserveoffiziere, die ja meist auf Beförderung nicht zu rechnen haben. So ist sein erster Gesichtspunkt bei seinen Arbeiten, was will der Oberstleutnant haben (also ein unsachlicher). … Ich will aber nicht sagen, dass Smalian nichts verstände, im Gegenteil seine Befehle geben viele Anregungen, aber alles, was er so bei der Besichtigung moniert, darf man nicht als unfehlbar auffassen. Für mich kam die Ablösung wie gerufen, da es scheußlich in meinem Unterstand durchregnete und der Eingang so zugefallen war, dass man nur nach einigen Klimmzügen raus kam. Hier bewohne ich ein Zimmer, das mir ein Vizefeldwebel der 1. Kompanie, der jetzt oben wohnt, abtrat. Es ist verschließbar. … Es ist alles drin, was zu einer kompletten Einrichtung gehört. … Ich fühle mich hier sehr wohl. Ich brauche jetzt nicht den ganzen Tag im Kasino rumzulungern und kann für mich lesen. Also Lektüre! Mörikes Gedichte lese ich gerade, deshalb bitte ich um „Maler Nolten“ und „Mozarts Reise“ etc. Horaz! Neubauer, Römische und griechische Geschichte. – Ein schönes Weihnachtsgeschenk für Euch alle weiß ich. Hoffentlich bekomme ich es rechtzeitig. Dienst haben wir jeden dritten Tag, 3 bis 4 Stunden Aufsicht über 32 Mann unserer Kompanie, die auf Schanze III arbeiten. Ich machte es heute Nachmittag. Ich will die viele freie Zeit nicht ungenützt verstreichen lassen. Die Kölnische Zeitung bekomme ich jetzt regelmäßig immer vom Tag zuvor. Kriegsnachrichten, hauptsächlich die politischen, gut. Kriegsberichterstattung und Feuilleton mäßig. Briefe schicke ich nachhause, die fremden gesondert zur gef. Durchsicht.

Gestern Abend schlemmten wir natürlich, aus Freude über die Ablösung. Jeder stiftete etwas. Der Oberleutnant 2 Flaschen Sekt. Das Wetter ist weiter schlecht.

Viele Grüße an Elli,

Wolfgang

Bitte einen Stoß Postkarten und Briefumschläge und einseitige Kartenbriefe!

 

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