Bei Langemarck nördlich Ypres <Ypern>, Westflandern, 26.X. 14
Das ist heute der 7.te Tag der Schlacht bei Langemarck. Man hat sich daran gewöhnt; wenn nicht gerade Granaten in nächster Nähe einschlagen, bleibt man unbekümmert. Der Schützengraben, den wir uns gestern aushoben, ist gut 1 m tief, und indem ich darin sitzend schreibe, lasse ich seelenruhig vereinzelte Gewehrkugeln darüberhin pfeifen. Seit 4 Tagen bin ich mit circa 50 anderen aus dem Kompanieverband gekommen und als Deckung der Artillerie zugeteilt, d.h. wir befinden uns zu 20 Mann in der Nähe der Geschütze von zwei Batterien, dazu bestimmt, im Falle eines plötzlichen Angriffes die im Nahkampf unbrauchbaren Kanonen zu verteidigen. … Ich hätte nie gedacht, dass Artillerie eine so üble Sache für den betreffenden Teil ist, bis wir es neulich, am Tage unserer Feuertaufe, gründlich merkten.
Roulers <Roeselare> war von uns genommen worden, erst hat die Artillerie die wenigen feindlichen Truppen vertrieben, dann drang die Infanterie, über Barrikaden und von Franktireuren besetzte Häuser stürmend, in den Ort ein. Es war erstaunlich, die langen Reihen von Kanonen, Menschen und Pferden in einer Stadt zu sehen, die kaum geringer an Bewohnerzahl als Göttingen jetzt ganz verwüstet lag. Licht kam aus brennenden Häusern, die, weil aus ihnen geschossen wurde oder Patronenvorräte in ihnen gefunden wurden, in Flammen aufgingen. Den Tag darauf war es bei der Einnahme des Dorfes Poelkapelle, dass wir, ganz harmlos ohne erhebliche Sicherung einrückend, noch nicht einmal ausgeschwärmt, aus den Häusern hageldichtes Gewehrfeuer empfingen, dem bald das Aufschlagen der Granaten sich beigesellte. Die meisten Kugeln pfiffen über unsere Köpfe, aber immerhin kostete uns dieser Tag zwei Tote und mehrere Verwundete. Unser Korps entbehrt schmerzlich der Artillerie, die das Gelände ganz anders aufklären würde, als es jetzt geschehen kann. In den eigentlichen Wurstkessel kamen wir am 21., der für unser Bataillon ein dies ater war. Feuer aus besetzten Häusern und Artilleriefeuer richteten großen Schaden an. Das Grässliche war, wir konnten uns gar nicht wehren, denn von Feinden war auch absolut nichts zu sehen. Zwei Stunden im Schützengraben, während Schrapnelle und Granaten z.T. der eigenen Artillerie platzen, das war nicht gerade gemütlich. Schließlich zog sich das Bataillon zurück. Ein Flieger hatte unsere Rückzugslinie ausgekundschaftet und flugs flog in unsere Kompaniekolonne ein Schrapnell, das immensen Schaden anrichtete. Acht Tote und etwa 25 Verwundete auf einen Schlag. Dass Wolfgang und ich völlig unversehrt geblieben bis heute, ist ein Wunder. In unserer Korporalschaft sind allein vier Tote und fünf Verwundete … Da eine andere Division eingesprungen war, konnte das Regiment und die Artillerie den Vormarsch noch am selben Abend wieder aufnehmen, den organisiert zu haben das Verdienst unseres Bataillonsadjutanten (des langen Kerls) war, der dafür das Eiserne Kreuz erhielt.
Als wir am späten Abend mit Blutgeruch, hungrig, müde, ganz verschreckt zurückzogen, der Major zitternd und todernst, der Adjutant zu Rad mit dem Gewehr über der Schulter, rief dieser: „Kinder, wir haben Unglück gehabt, wollen die Scharte wieder auswetzen!“, ja da war einem ganz toll zu Mute. Seitdem liegen wir im Feuer und haben doch fast keinen Schuss abgegeben. … Man muss eben mit den Kanonen vorher möglichst alles zusammenschießen und den Rest der Häuser mit dem Bajonett stürmen. Ganz unermesslichen Schaden tun uns die alle Augenblicke erscheinenden feindlichen Flieger, denen wir manchen Verlust verdanken. … Es geht im Ganzen entschieden vorwärts, unser Armeekorps hat die Aufgabe die Stellung zu halten, da die weiterdringenden Flügel den Feind umklammern sollen, daher macht er hier immer Durchbruchsversuche, die bis jetzt immer abgewiesen wurden. Diese Nacht wurde ein halbes Dorf von feindlicher Artillerie in Brand geschossen, ein fabelhaftes Schauspiel. Bei alledem führen wir unser gleichmäßiges Leben. … Manchmal schnallt man 24 Stunden lang nicht einmal das Koppel ab.
<Wolfgang schreibt weiter:> Obgleich wir wiederholt vom Feind mit Kugeln und Granaten befeuert wurden, konnten wir doch etwas aufleben. Wir haben keine Verluste mehr gehabt und konnten manchmal unsern gräulichen Hunger stillen. Überall in der Nähe sind Gehöfte, in die manchmal ein paar Mann detachiert werden, um Essen zu holen und oft genug passiert es dann, dass gerade, wenn die Suppe brodelt, Schrapnells uns überschütten oder die Batterie ihre Stellung ändert, und wir wegmüssen. Außerordentlich nett und kameradschaftlich stehen wir mit unseren Brüdern von der Kanone. Wenn sie etwas überhaben, geben sie uns ab, und umgekehrt. Famos sind ihre Offiziere …