29.IX. u. 3.X.1915 „Mal wieder etwas mitzumachen und soldatischen Geist zu zeigen“

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Wolfgang Husserl an M. und E. Husserl, 29. IX. u. 3. X. 1915

Liebe Eltern!                                     29. September 15

Allenthalben haben an der Westfront große Kämpfe stattgefunden, nur hier nicht. Ich bin wirklich in eine recht langweilige Ecke hineingeraten. Auch bei den 234ern scheinen Angriffe stattgefunden zu haben. Ich bin deshalb um Gerhart sehr besorgt. Wann werden wir endlich im Osten aufhören? Zu schade, dass die Offensive gegen Serbien eingestellt werden musste, weil die Österreicher nicht standhielten. Manchmal überkommt mich ein gewisses Bedauern, dass wir hier uns mit Kleinigkeiten abgeben und die Bürokratie wahre Triumphe feiert, während anderwärts große Schlachten geschlagen werden. Mal wieder etwas mitzumachen und soldatischen Geist zu zeigen, wäre mir lieber als hohe Chargen …

Die Franzosen haben in den letzten Tagen mit weittragenden Geschützen schwersten Kalibers unsre Etappenorte beschossen. In Baroncourt wurde ziemlicher Schaden angerichtet, hauptsächlich auf dem Bahnhof. Deshalb kommt die Post nicht regelmäßig. Da die schweren Geschütze sehr weit vorgeschoben sind, sind wir feste dran, sie rauszukriegen. Eines haben wir schon, da es sich durch Rauch verriet, entdeckt, obgleich die Franzosen, um uns zu täuschen, Zielfeuer abbrannten, aber es ist noch nicht zum Schweigen gebracht. Da wir nicht wissen, welche Truppen uns gegenüberliegen, sollen wir versuchen, Gefangene zu machen, d.h., einen Posten wegzuschnappen. Das ist schon an und für sich nicht leicht und erfordert große Überlegung. Wir wissen nun aber nicht genau, wo die Franzosen ihre Posten haben und ob sie sich überhaupt jede Nacht an dieselbe Stelle stellen. Deshalb war ich schon 2 Mal, so gestern Nacht, auf der Lauer, konnte aber nichts entdecken. Heute Abend gehe ich wieder. Mit Leutnant Kühnau baue ich einen ganz versteckten Beobachtungsstand 400 m von unserer Linie. Er ist heute den ganzen Tag mit 3 Handwerkern in dem zerschossenen Gebäude und arbeitet mit allergrößter Vorsicht natürlich. Ich werde dann den ganzen Tag mich dort aufhalten und beobachten.

Am 27. des Monats bin ich zum Offiziersaspiranten ernannt laut Regimentsbefehl. Ich habe Aussicht, bald Offizier zu werden. Näheres darf ich nicht schreiben.

3. Oktober

Neulich lief ein Franzose über und verriet uns einfach alles: Artilleriestellungen, Feldbahnen. Die Franzosen wollen hier nicht angreifen, und wir denken auch nicht dran. So mutmaßt man drüben richtig – zu langweilig.

Gruß,

Wolfgang

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