7.XI.-13.XI.1914 „Viel Schreckliches haben wir gesehen und viel Hässliches und Betrübendes“

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Soldatenfriedhof in Langemark

Gerhart und Wolfgang Husserl an M. und E. Husserl, 7. XI. 1914

… Überall knallen Schrapnelle und Gewehrkugeln, aber im Graben eingewühlt, fühlt man sich sicher. Wir sind richtige Erdarbeiter geworden: schanzen, schanzen. Der Feind tut das Gleiche.

Gruß in die Heimat.

Gerhart.

Eben besuchen mich Martin Lehmann und Passow. Es geht uns sehr gut.

Wolfgang.

 

Gerhart und Wolfgang Husserl an Elli Husserl, 12. XI. 1914

Liebe Elli!

Wir sind beide wohlbehalten. Heute kam das Buch und Schokolade, das Paket fehlt noch immer. Passow ist gesund. Dass Ihr gar nichts hört von uns, ist grässlich, aber nicht unsere Schuld. Overbeck und Bernhard Runge sind sicher tot, auch Ruprecht, Frank Fischer. Hoffentlich bekommt Ihr dies bald. Mügge ist auch gesund, ebenfalls Berthold, Franz Runge.

Herzlichst Gerhart.

Wir sind beide wohl und munter, haben gerade einen Ruhetag nach bösen Tagen. Overbeck, unser bester und liebster Kamerad, fiel tödlich verwundet zu unsern Füßen, jetzt ist er gestorben.

W.

 

Wolfgang Husserl an Elli Husserl, 13. XI. 1914

Liebe Elli!

Heute eine famose Feldpost bekommen, von Dir famosen Brief, desgleichen von Mama und Papa und viele gute Sachen (vom 6.-8. Nov.). Seht Ihr, dass wir fleißig schreiben. Bin gerade an einem langen Bericht. Dies kommt wohl früher an. Liegen für einige Tage abgelöst nach schwerer Zeit hinter der Linie, aber noch im Feuerbereich, es geht uns sehr gut.

Wolfgang.

 

Wolfgang Husserl an M. und E. Husserl, 13. XI. 1914

Liebste Eltern!

Im Felde 13.11.14

… Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie wir uns über die heutige Feldpost gefreut haben. Gute Sachen brachte sie ja immer, aber Klagen über zu weniges Schreiben. Jetzt stehen wir reingewaschen da. … Ich habe an Herrn Littmann geschrieben … denke oft genug an mein erstes und vorläufig letztes Semester. In einem großen Gehöft liegt das ganze Bataillon, das jetzt so groß ist wie zwei Kompanien und weniger. So bin ich viel mit den Bekannten aus den anderen Kompanien zusammen: Passow, Fr<anz> Runge, Mankopff, E. Hermann. Ich sitze hier auf der Bank am eingeschlagenen Fenster in einer des schönen Hausrates entkleideten flämischen Bauernstube. Vor mir steht alles voll und kocht sich alles Mögliche und Unmögliche am Herde. Kartoffeln, Kaffee, Hackfleisch, Bouillonwürfel usw. Soeben bietet Dr. Niese mir Milchkaffee an, er hat sich über Eure Sendung sehr gefreut. Wir schlafen auf dem Boden auf Stroh und Weizenkorn in schauerlichem Gedränge, die Füße kann man aber ausstrecken, – in ägyptischer Finsternis. Seine Sachen in Ordnung zu halten, hält schwer, und dabei sind so und so vielen Leuten die Beine zu zertreten. Es wird noch alle Augenblicke morgens etwas an die Korporalschaften verteilt: Liebeszigarren, drei Mann ein Laib Brot, abends zwei Mann ein Kochtopf Essen von unserer eigenen Feldküche, die wir nun endlich bekommen haben. Das gibt ein Geschrei und Gelaufe.

Gestern habe ich unter dem Vorwand, Wasser zu holen, einen Ausflug zur Artillerie gemacht, deren Liberalität und üppiges Phäakenleben mir von der Zeit, wo ich ihre Geschütze bewachte, bekannt war, und mir Schmalz und Schweinebraten und Bouillon „verpasst“. (Ich schreibe jetzt so undeutlich, weil einer hier auf der Bank Kaffeebohnen mit einer Weinflasche zerdrückt.) Über die guten politischen Nachrichten haben wir uns sehr gefreut, es wird uns alles mitgeteilt, besonders von unserer Schlacht. Liebste Eltern, wir müssen Gott danken, dass wir beide noch leben. An einem Tage (10.) 51 Verluste. Einzelheiten kann ich unmöglich schildern, die werdet Ihr bald von den Verwundeten in Göttingen erfahren. Viel Schreckliches haben wir gesehen und viel Hässliches und Betrübendes. Weiß Gott, hätte ich den Brief vor 2 Tagen geschrieben, er wäre nicht so fröhlich geschrieben. Alle, alle waren niedergeschlagen. Ihr könnt Euch denken, wie mich Herrn Wellhausens schöne Worte freuten, die mich in dieser Stimmung trafen. Jetzt wieder alles wohlgemut.

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Postkarte – Langemark 1914

Wir hatten nämlich einen vergeblichen Sturmangriff gemacht. Wie ging das zu! Es sollten erst einige Gruppen vorgehen und den Feind befeuern, dann die anderen nachstürmen. Wir hatten uns über die Stärke des Feindes gründlich getäuscht, die Leute wurden einfach niedergemäht. Wir anderen konnten deshalb nicht vorgehen. Nach und nach schleppten sich die Verwundeten und die wenigen Überlebenden meist in der Nacht zurück. Einige waren 20 m vom feindlichen Graben entfernt, so unser Feldwebel. Im Graben gab es auch Verluste (jeden Tag ), am meisten am 10. Nov., so Overbeck.

Von der feindlichen Artillerie blieben wir fast immer verschont, so war es im Graben oft recht gemütlich. Hungern mussten wir allerdings ziemlich und zu trinken gab es fast nichts. Sehr schwierig und eklig ist das Essenholen in der Dunkelheit von einem Gehöft hinter der Linie bei Gewehrfeuer. Man windet sich durch unendliche Laufgräben und dann geht es über Stock und Stein. Man kriegt zu wenig; wenn man zurück ist, ist das Essen kalt. Noch eins: schickt bitte Likör und Kognak. Alkohol ist sehr wichtig, nicht als Reizmittel, wohl aber für den Magen, der oft verdorben ist.

Liebe Mama, in Venedig habe ich für Elli Albrecht eine Brosche gekauft, sie liegt in meinem Schreibtisch. Schicke sie ihr bitte zum Geburtstag (21. Nov.). Feldpostkarten! Es wird dunkel.

Wolfgang.


 

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