19.X.1915 „Ich hörte, dass ein 2. Sohn von Gündells gefallen ist“

Krieg

Wolfgang Husserl an Elli und Malvine Husserl, 19. X. 1915

Liebste Elli!                                                        Smalianschanze, 19. 10. 15

Für Deinen interessanten Brief und nicht weniger für das schöne Buch, das ich hoffentlich bald lesen werde, sage ich Dir vielen Dank. Ich freute mich über beides sehr. Du hast hoffentlich inzwischen den Granatring als Gegengabe erhalten. Schon am Vorabend meines Geburtstages erhielt ich von Papa und Mama Glückwünsche. Ich hätte mich auch gerne gleich dafür bedankt, aber wir wechselten gerade an dem Tage die Stellung – zu Deutsch gesagt, wir zochelten –, und da ich wie überhaupt jedermann im Festungskrieg einen ganzen Hausrat mitschleppe … , so macht das viel Mühe. Es ist furchtbar schade, und vom Musketier bis zum Hauptmann schimpft jeder, dass unsre Kompanie keine feste Stellung hat. … Dabei wird fortwährend von oben gedrückt, dass wir genug arbeiten, damit wir den Plan, der bis Mai 1916 läuft, ja innehalten. In der Beziehung ist Hauptmann Henkel sehr vernünftig, mehr wie arbeiten können wir nicht, und was wir machen, wollen wir solide machen. … Ich führe ein ähnliches Leben wie Du, habe meine feste Arbeitszeit …, bekleide ein Amt, zu dem ich zu taugen glaube, und was ich zu tun habe, mache ich gern. Es ist so etwas Ähnliches wie Baumeister. Man gibt an, was gemacht werden soll, leitet die Leute an und beaufsichtigt sie.

… Das ganze Leben wäre hier sehr schön, aber es wurmt mich eben, dass gar nichts sich ereignet und auch je ereignen wird. Die Wogen der gewaltigen Kämpfe reichen nicht bis in diesen stillen Winkel. Wir leben hier wirklich unk.mäßig<??>, besser als je in der Heimat. Dass selbst die Verwundeten in Deutschland hungern, ist ja entsetzlich und da soll der Krieg noch sehr lange dauern. … Ich habe neulich aus den Metamorphosen den Phaeton gelesen, eine herrliche dichterischer Sage. Zu Deiner Beförderung besten Glückwunsch. Jetzt sind wir drei allesamt uniformiert.  Was macht Professor Littmann? Ich schrieb ihm neulich einen langen Brief.

W.

 

Liebste Mama!

Dein lieber Brief freute mich außerordentlich, ich habe ihn soundso oft gelesen, ebenso wie Papas Schreiben … (im Brief folgt eine Bestätigung von großen Esspaketen).

11.X.1915 „Es ist recht traurig, daran zu denken“

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Wolfgang Husserl an M. und E. Husserl, 11. X. 1915

Liebe Eltern!                                                            Lothringen, 11. Oktober 15

Ich habe eben an Gerhart zum Jahrestage unsrer Fahrt nach Flandern und in Beantwortung einer Karte an ihn ein längeres Schreiben gesandt. Was ist aus der Schar von Leuten geworden, die damals mit solcher Begeisterung ins Feld zogen? Ich bin froh, dass mich die Kugel am 20. Februar nicht invalide machte und ich meinen Geburtstag wieder im Felde feiern kann. Hier gibt es nichts Neues.

Viele Grüße,

Wolfgang

9.X.1915 „Dass der Krieg bald alle ist, glauben wir nicht“

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Wolfgang Husserl an M. Husserl, 9. X. 1915

Liebe Mama!                                       9. Oktober 15

… Dass Gerhart nicht befördert wurde, tut mir sehr leid. Mein schnelles Fortkommen wird ihn sicher kränken. … Ich hoffe sehr, dass Papa sich gänzlich in dem Höhensanatorium erholt. Sollte der Krieg Papas Arbeitskraft geschmälert haben, so wäre das nicht der geringste Schaden, den er der Kulturentwicklung zufügte. – 50 M<ark> erhalten, vielen Dank. … Dass der Krieg bald alle ist, glauben wir nicht. Auf ein Jahr muss man noch rechnen. Wir sollen die Stellung nach einem neuen Plan ausbauen, mehr Unterstände auch in den hinteren Linien. Im Mai (!) soll das fertig sein, sagte der Brigadekommandeur.

Gestern räumte ich die Bibliothek des Pfarrers von W. auf, dessen Haus zufällig unversehrt ist, als einziges. Er hat die ganze antike Literatur, meist in französischen Übersetzungen, ferner Goethe, E. T. A. Hoffmann, Scott und die modernen französischen Romane, Dumas, Balzac etc., und viele naturwissenschaftlichen Werke (Lamarck) und Wörterbücher. Jetzt habe ich genügend Lektüre. Virgil, Ovid, Biblia hebraica und Tacitus habe ich mir rausgesucht. Im Thukydides lese ich auch noch eifrig und in den „Kriegserfahrungen über Feldbefestigungen“, dem Büchlein, das den Truppenteilen zur Belehrung überwiesen wurde. Hauptmann Henkel lässt Papa gute Erholung wünschen.

Gruß,

W.

6.X.1915 „Wir müssen jetzt schrecklich viel bauen und buddeln“

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Wolfgang Husserl an M. Husserl, 6. X. 1915

Liebe Mama!                                         6. Oktober 15

Wir müssen jetzt schrecklich viel bauen und buddeln, weil die Vorgesetzten immer neue Gedanken haben. So wird nichts recht fertig. Wenn wir noch 10 Jahre hier liegen, werden wir immer noch zu tun haben. Wenn ich nicht schreibe, so kommt es, weil hier nichts los ist.

29.IX. u. 3.X.1915 „Mal wieder etwas mitzumachen und soldatischen Geist zu zeigen“

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Wolfgang Husserl an M. und E. Husserl, 29. IX. u. 3. X. 1915

Liebe Eltern!                                     29. September 15

Allenthalben haben an der Westfront große Kämpfe stattgefunden, nur hier nicht. Ich bin wirklich in eine recht langweilige Ecke hineingeraten. Auch bei den 234ern scheinen Angriffe stattgefunden zu haben. Ich bin deshalb um Gerhart sehr besorgt. Wann werden wir endlich im Osten aufhören? Zu schade, dass die Offensive gegen Serbien eingestellt werden musste, weil die Österreicher nicht standhielten. Manchmal überkommt mich ein gewisses Bedauern, dass wir hier uns mit Kleinigkeiten abgeben und die Bürokratie wahre Triumphe feiert, während anderwärts große Schlachten geschlagen werden. Mal wieder etwas mitzumachen und soldatischen Geist zu zeigen, wäre mir lieber als hohe Chargen …

Die Franzosen haben in den letzten Tagen mit weittragenden Geschützen schwersten Kalibers unsre Etappenorte beschossen. In Baroncourt wurde ziemlicher Schaden angerichtet, hauptsächlich auf dem Bahnhof. Deshalb kommt die Post nicht regelmäßig. Da die schweren Geschütze sehr weit vorgeschoben sind, sind wir feste dran, sie rauszukriegen. Eines haben wir schon, da es sich durch Rauch verriet, entdeckt, obgleich die Franzosen, um uns zu täuschen, Zielfeuer abbrannten, aber es ist noch nicht zum Schweigen gebracht. Da wir nicht wissen, welche Truppen uns gegenüberliegen, sollen wir versuchen, Gefangene zu machen, d.h., einen Posten wegzuschnappen. Das ist schon an und für sich nicht leicht und erfordert große Überlegung. Wir wissen nun aber nicht genau, wo die Franzosen ihre Posten haben und ob sie sich überhaupt jede Nacht an dieselbe Stelle stellen. Deshalb war ich schon 2 Mal, so gestern Nacht, auf der Lauer, konnte aber nichts entdecken. Heute Abend gehe ich wieder. Mit Leutnant Kühnau baue ich einen ganz versteckten Beobachtungsstand 400 m von unserer Linie. Er ist heute den ganzen Tag mit 3 Handwerkern in dem zerschossenen Gebäude und arbeitet mit allergrößter Vorsicht natürlich. Ich werde dann den ganzen Tag mich dort aufhalten und beobachten.

Am 27. des Monats bin ich zum Offiziersaspiranten ernannt laut Regimentsbefehl. Ich habe Aussicht, bald Offizier zu werden. Näheres darf ich nicht schreiben.

3. Oktober

Neulich lief ein Franzose über und verriet uns einfach alles: Artilleriestellungen, Feldbahnen. Die Franzosen wollen hier nicht angreifen, und wir denken auch nicht dran. So mutmaßt man drüben richtig – zu langweilig.

Gruß,

Wolfgang