3.I.1916 „Eben belegen die Franzosen Etain mit Schrapnells“

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Wolfgang Husserl an M. Husserl, 3. I. 1916

Liebe Mama!                          Etain, den 3.1.1916

Es tut mir wirklich sehr leid, dass Euch das Ausbleiben eines speziellen Weihnachtsbriefes gekränkt hat. Ich glaubte aber, Euch mit einem Geschenk, den vielen schönen Photographien, eine größere Freude zu bereiten.

In den letzten Tagen gab mir Herr Hauptmann Mattersdorf reichlich zu tun, und die freie Zeit verbrachte ich in fröhlicher Geselligkeit, so dass ich gar nicht zum Schreiben kam. Meine Briefschulden kann ich nur nach und nach abtragen. Dass ich jetzt immer mit den Herren der 1. Kompanie zusammen bin, ist für mich von großem Wert, denn es sind prächtige Menschen, von denen man viel lernen kann und dann hat. Herr von Gilsa, in sehr freundschaftlicher Weise, hat mir einige Winke gegeben, wie ich mich zu den Herren meiner Kompanie stellen soll, mit denen ich noch immer nicht so recht gut stand (aber natürlich auch nicht schlecht). Der Erfolg ist schon da. Ich besuche Oberstleutnant Alt jedes Mal, wenn ich auf dem Riegel bin. … In Etain herrschte ziemliche Besoffenheit. Um 12 Uhr wurden aus allen Häusern Freudenschüsse abgegeben. Auf der Metzerstraße war man seines Lebens nicht sicher. In der Stellung ging es ähnlich her. Artillerie schoss nicht. Am nächsten Abend war ich von meiner Kompanie zum Abendessen eingeladen, um die Feier nachzuholen. Es war noch Hauptmann Duvernoy von der 13. Kompanie, die jetzt auf Schanze V liegt, da. Ladenburg hatte große Pakete bekommen, in denen meist Sekt drin war, den wir in fröhlicher Stimmung vertilgten. Oberleutnant Alt pflaumte mich immer an. Ich wäre ein Abtrünniger, ein Etappenschwein, weil ich nicht oben in der Stellung wohne und ähnlich. Wir waren recht fidel. Wie ich in der sehr dunklen Nacht vom Riegel nach Hause gekommen bin, weiß ich heute noch nicht, jedenfalls ganz unversehrt. Gestern Abend hatten wir unseren sächsischen Nachbarn, die Offiziere von 8/L<and>dw<ehr> 102, eingeladen und saßen abends lange zusammen. Herr von und zu Gilsa ist von altem Adel, aber ein durch und durch moderner, praktischer Mensch, Großkaufmann und Industrieller. Natürlich habe ich mit ihm immer interessante Gespräche. Er ist groß, stark und breitschultrig. Leutnant Rothe ist ein idealistischer, warmherziger Mensch, der seinen Lehrer- und Erzieherberuf sehr hoch auffasst. Er hat in Posen viel bei Brecht gehört, für den er sehr schwärmt. Feldwebelleutnant Scharfenkamp hat den Hererokrieg mitgemacht und sich in Flandern sehr ausgezeichnet. Er war mit etwa 100 Mann beim Sturm zu weit vorgedrungen und 2 Tage lang in einem abgesonderten Grabenstück von den Franzosen förmlich belagert worden. Er schlug sich aber bis zu unseren Leuten durch. Die andern harrten noch 3 Tage aus und mussten dann kapitulieren.

Eben belegen die Franzosen Etain mit Schrapnells, die aber sämtlich zu unserem großen Gaudium in die Gärten gehen statt in die Straßen. Der Riegel wird jetzt öfters mit 12 cm beschossen, weil unsere Mörser sich viel betätigen. …

 

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